Der „Wissensdiskurs“ im Mathematik- und Deutschunterricht
In die Schule geht man, abgesehen davon, dass man sowieso hingehen muss, um etwas zu lernen und eines Tages ein Zeugnis, das dieses Lernen zertifiziert, zu bekommen. So banal diese Aussage klingen mag, verdeutlicht sie zwei zentrale Aspekte des Unterrichts: in ihm wird gelehrt/gelernt und Gelerntes beurteilt. Dafür sind verschiedene Gruppen an Personen notwendig, nämlich einerseits Schüler_innen und andererseits Lehrer_innen, zwischen denen eine Wissensasymmetrie zugunsten der Lehrer_innen vorliegt, die im Sinne des Unterrichtens (zumindest in Teilen) nivelliert werden soll, indem die Schüler_innen Wissen hinzugewinnen (vgl. Ehlich 2015).
Wissen an sich ist für jegliche Form der Kommunikation grundlegend notwendig, es ist, wie Deppermann (2015) sagt, „an fast jeder Interaktion zugleich als Voraussetzung, als thematischer Gegenstand sowie als Produkt“ beteiligt. Zentral für die Kommunikation ist jedoch nicht nur der Wissensgegenstand selbst, sondern auch die Beziehung der Gesprächsbeteiligten zu diesem Wissensgegenstand und zueinander; Machen wir eine Aussage über einen Gegenstand, dann müssen wir beispielsweise antizipieren, was unser Gegenüber über diesen Gegenstand bereits weiß, um einen adressatengerechten Gesprächsbeitrag zu leisten. Neben dieser Fremdpositionierung findet auch eine eigene Positionierung statt, wir markieren in unseren Aussagen, wie sicher oder unsicher wir bezüglich des Inhalts sind. Aus diesen Positionierungen ergeben sich verschiedene Status, die Gesprächsteilnehmer_innen im Gespräch einnehmen können. Zusätzlich relevant ist dabei auch die soziale Beziehung zum thematisierten Gegenstand (Stivers et al. 2011), beispielsweise liegen bei persönlichen Erfahrungen die vorrangigen Rechte bei der Person, die diese Erfahrungen gemacht hat.
Die eingangs erwähnte Wissensasymmetrie führt im Unterrichtsgespräch zu einer spezifischen Kommunikationstruktur, die sich durch einen Dreiklang aus erstens Lehrer_innen-Frage, zweitens Schüler_innen-Antwort und drittens Lehrer_innen-Evaluation auszeichnet (vgl. Sinclair und Coulthard 1977; Mehan 1979). Die Initiierung durch die Lehrkraft, häufig tatsächlich in Frageform formuliert, unterscheidet sich dabei häufig vom Format alltäglicher Fragen insofern, dass der_die Fragende die Antwort kennt (vgl. Ehlich 2015), wodurch sich erst die Möglichkeit der Beurteilung in der dritten Position ergibt.
In meinem Dissertationsprojekt gehe ich der Frage nach, wie in dieser anhaltend asymmetrisch gestalteten Kommunikation der Wissensvermittlung und Wissensüberprüfung sowohl Lehrkraft als auch Schüler_innen Positionierungen bezüglich des jeweiligen Wissensgegenstandes vornehmen. Wie markiert die Lehrkraft, von welcher gemeinsamen Wissensgrundlage sie ausgeht, inwiefern sie also die Schüler_innen als Wissende oder auch Nicht-Wissende voraussetzt? Wie etablieren sich andererseits die Schüler_innen selbst als (Nicht-)Wissende im Unterricht?
LITERATURVERZEICHNIS
- Deppermann, Arnulf (2015): Wissen im Gespräch: Voraussetzung und Produkt, Gegenstand und Ressource. In: Interaction and Linguistic Structures (InLiSt) (57), S. 1–31.
- Ehlich, Konrad (2015): Unterrichtskommunikation. In: Michael Becker-Mrotzek (Hg.): Mündliche Kommunikation und Gesprächsdidaktik. 3., unveränderte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH (Deutschunterricht in Theorie und Praxis, DTP; Handbuch zur Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in elf Bänden / hrsg. von Winfried Ulrich ; Band 3), S. 327–348.
- Mehan, Hugh (1979): Learning Lessons: social organizations in the classroom. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.
- Sinclair, John; Coulthard, Malcolm (1977): Analyse der Unterrichtssprache. Ansätze zu einer Diskursanalyse dargestellt am Sprachverhalten englischer Lehrer und Schüler. 1. Aufl. Heidelberg: Quelle & Meyer (Sprachwissenschaft, Sprachdidaktik).
- Stivers, Tanya; Mondada, Lorenza; Steensig, Jakob (Hg.) (2011): The Morality of Knowledge in Conversation. Cambridge: Cambridge University Press.